Arme Millionäre!


Das Deutschlandradio hat heute wieder einmal ein Glanzlicht gesetzt und einer unterdrückten Minderheit zur freien Rede verholfen. Georg von Wallwitz wurde angekündigt. Ziemlich unverfroren vom Sender, heißt er doch richtig Dr. Georg Graf von Wallwitz, seines Zeichens Geschäftsführer der Münchner Eyb & Wallwitz Vermögensverwaltung.

Aber man muss kein Blaublütiger sein, um sich für das zu interessieren, was dieser Mann zu sagen hat. In der Anmoderation des Beitrags, den man immerhin als Meinungsäußerung gelten lassen kann, ließ es sich die Redakteurin am Mikrofon nicht nehmen, die Mär vom „arbeitenden Geld“ zu repetieren. Nach dieser Hinführung konnte der Herr Graf gleich in medias res gehen: „Wer heute eine Million in Staatsanleihen anlegt, hat nur etwas über 800 Euro im Monat zum Leben. Willkommen auf dem Existenzminimum, das da aus ganz ungewohnter Perspektive auch für die Reichen aufscheint.“ Dieses empörende Elend! Millionäre müssen demnächst Abfall- und Flaschencontainer nach Verwertbarem durchwühlen, weil ihre Zinsen nicht mehr zu einem auch nur annähernd standesgemäßen Leben reichen. Endlich bringt es mal jemand zur Sprache!

Doch es kommt noch besser: „Aber die Millionäre aller Länder vereinigen sich nicht, und die Revolution bleibt aus. Denn wie die kalte Progression im Steuerrecht, so trifft auch diese kalte Enteignung durch den Niedrigzins die Mittelklasse.“ (Ich dachte immer, das hieße Mittelschicht, doch das nur am Rande.) Als wenn die Millionäre aller Länder nicht schon längst über ihre Lobbyisten vereinigt wären; einer davon meldete sich gerade im Radio zu Wort. Die brauchen keine Revolution; nichts liegt ihnen ferner.

Der vorläufige Gipfel ist die Verortung von Millionären in der „Mittelklasse“. Die „Mittelklasse“ geht also nicht täglich zur Arbeit, um Geld zu erwerben und damit Eigenheim und Zweitwagen abzuzahlen und die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren, sondern hat ihre (einzige?) Million beim Finanzminister abgeliefert (ausgerechnet bei dem statt in Liechtenstein), um von diesem mit einem monatlichen Hungerbrot aus sprudelnden Wachstumssteuermilliarden abgespeist zu werden. Also, Herr Graf, Ihre Mittelklasse und die, die ich kenne … – reden wir vom selben Land?

Ein Zitat ohne Kommentar: „Die Armen, die echten Hartz-IV-Empfänger, leiden nicht, da die staatlichen Transferleistungen nicht vom Zins abhängen.“ Oder sollte doch darauf hingewiesen werden, dass die ständig zunehmenden Schulden und der damit verbundene Zinsdienst u.a. des Bundes einer der Gründe für die Sparpolitik waren und sind, die unter Gerhard Schröder und Peter Hartz zu den ALG-Reformen führten, deren leidfreies Resultat der Graf hier konstatiert? Lassen also weiterhin zunehmende Schulden Prognosen darüber zu, wie sich die Kaufkraft sozialer Zuwendungen in Zukunft entwickeln wird? Hartz-V, das Elysium, demnächst auch für gebeutelte Millionäre?

In der Folge erwähnt Dr. Georg Graf von Wallwitz einige Dinge, die darunter leiden – aber dafür kann er nichts –, dass solche Beiträge zu solcher Sendezeit immer annähernd so kurz sein müssen wie Artikel in der BILD. Da kann man dann manchmal nur die eine Seite der Wahrheit darlegen – bei der anderen droht die redaktionelle Schere. Es sei ihm also verziehen.

Und was er zuvor gesagt hat, entspricht seinem Metier. Ich erwarte inhaltlich kaum etwas anderes, erwarten im Sinne von kommen sehen, nicht im Sinne von wünschen. Gut möglich, dass die Redakteurin sogar mit ihm übereinstimmte, weitgehend zumindest, obwohl sie seiner „Mittelklasse“ höchstwahrscheinlich nicht angehört. Das ändert aber nichts daran, dass ihr Vorspann eine für journalistische Ansprüche gehobene Gedankenlosigkeit war. Denn der Rentier – der Beitrag hat diesbezüglich bemerkenswerterweise John Maynard Keynes zu Wort kommen lassen – ist so überflüssig wie kaum jemand in der Gesellschaft; Zitat Keynes: „Wer bloß passiv auf seinem Geld sitzt und Zinsen kassiert von Leuten, die etwas anpacken und riskieren, …“ Eine sinnvolle Ergänzung dieses Zitats: „… und die dafür arbeiten.“ Denn – in Richtigstellung des Unsinns vom „arbeitenden Geld“ – es sind Leute, die für Zinseinkünfte aufkommen und die dafür entweder arbeiten oder es sich auf andere Weise beschaffen müssen. Und angesichts der Hunderten von Milliarden Euro, die in Deutschland jährlich an Zinsen und Kapitalerträgen gezahlt werden, offen ausgewiesen oder versteckt in Steuern und Preisen, ist eine Niedrigzinsphase für all diese Leute eine positive Botschaft.

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2 Antworten zu Arme Millionäre!

  1. Aquinatus schreibt:

    Für wie blödsinnig hält der Herr Graf seine ‚Möchtegern-Untertanen‘ eigentlich? Diese stammen jedoch nicht mehr aus dem achtzehnten Jahrhundert, und bald wird er wissen, wo es eigentlich lang geht.

    • stephangeue schreibt:

      Ich nehme an, dass der Mann das Wählervolk ganz zutreffend einschätzt. Er macht nicht den Eindruck, verblödet zu sein. Er hat halt andere Ziele, und für die setzt er sich ein. Wir würden vielleicht sagen, diese Ziele seien nicht zu Ende gedacht, weil mit einem gesellschaftlichen Niedergang – wie die Geschichte lehrt – auch Millionäre um ihren lieben Frieden und nicht zuletzt um ihre Vermögen bangen müssen. Aber entsprechend den Erkenntnissen aus dem Gefangenendilemma wäre er zunächst benachteiligt, wenn er sich glaubhaft für eine Geld- und Bodenreform einsetzen würde, denn dann liefen seiner Vermögensverwaltung erst mal die Kunden weg, und die Reformen wären immer noch nicht da, weil deren Durchführung ja nicht allein an ihm und uns hängt.

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