Zu Stimmen aus Russland (2)


Thomas Röper hat dankenswerterweise wieder mal einen russischen Fernsehbeitrag übersetzt. (Ich habe vorgestern mit der örtlichen Volkshochschule wegen eines Russisch-Kurses telefoniert. Mir wurde mitgeteilt, dass eine Anmeldung nicht notwendig sei; ich könne einfach am ersten Tag vorbeikommen und dann selbst einschätzen, ob das Kursniveau für mich das richtige sei. Ob der Kurs dann einen zweiten Tag erleben werde, hänge von der Teilnehmerzahl sei, das Interesse habe jedoch stark nachgelassen. So lange – und ohnehin bis auf Weiteres – bin ich also auf Hrn. Röpers Dienste angewiesen. Aber ich muss auch sagen, dass die von ihm verlinkten Sendungen zeitlich häufig erheblich länger sind, als ich für das Lesen seiner Übersetzung benötige. Seine Seite ist insofern auch mit Russischkenntnissen ein Gewinn.)

In seiner Übersetzung heißt es u.a.:

Erinnern Sie sich an den EU-Kommissar für Energie mit dem klangvollen Nachnamen Piebalgs? Andris Piebalgs aus Lettland. Er war es, der die EU davon überzeugte, zum Börsenhandel von Gas überzugehen, also Gas nicht über langfristige Verträge mit Russland zu kaufen, sondern je nach Situation an der Börse. … Übrigens, hier ist eines seiner Zitate, wirklich eine Eins-Plus: „Gas ist zu wertvoll geworden, um einfach zur Stromerzeugung verbrannt zu werden. Die Alternative zum Gas ist der Strom selbst.“

Wahrscheinlich sind viele lettische Namen in den Ohren des russischen Schreibers/Sprechers klangvoll. Das ist einfach eine ziemlich fremde Sprache. So wie Ungarisch oder Finnisch für einen Deutschen. Aber „klangvoll“ ist ja erst mal keine schlechte Wertung – auch wenn sich das in meinen Ohren anhört wie mit einer Prise Ironie gewürzt. Ich mache so was auch gern.

Eigentlich ist es wurscht, was Andris Piebalgs zum europäischen Gashandel beizutragen hatte; er hat es niemandem oktroyieren können, sondern es hat einen wie auch immer gearteten, jedenfalls nicht lettisch dominierten Beschluss dazu gegeben; das schreibt der Autor auch selbst.

Die Geschichte mit dem Börsenhandel kann ich nicht hinreichend bewerten. Einerseits sind langfristige Verträge, wie sie Russland anstrebt und wie sie jahrzehntelang auch von deutschen und anderen europäischen Importeuren akzeptiert wurden, eine Preisgarantie, jedenfalls über die vereinbarte – lange – Lieferfrist. Damit kann man planen. Und beide Seiten müssen planen – die russische bei ihren Explorationen, die westliche bei ihren Produkten, die auf Grundlage von Öl und Gas erzeugt werden. Wir lernen ja gerade, welche Vielfalt allein vom Gas abhängt und wie verflochten die Abhängigkeiten da sind. Gestern las ich, das Stickstoffwerk Piesteritz bei Wittenberg habe die Herstellung von AdBlue eingestellt, ohne das viele LKW nicht mehr fahren können. Ich habe gleich mal überlegt, welche schwergewichtigen oder sperrigen Baumarktgüter wir in nächster Zeit noch brauchen werden, um diese vor dem eigentlichen Bedarf, solange es noch geht, „an Land zu ziehen“.

Andererseits sollen Börsen eine möglichst gute Transparenz hinsichtlich existierender Anbieter schaffen und so Abnehmern die Sichtbarkeit der günstigsten Option ermöglichen. Wiederum andererseits gibt es beim Gas keine so flexible Infrastruktur, dass man einfach mal den Anbieter wechseln könnte. Alle „beweglichen“ Transportwege – wie etwa LNG-Tanker – machen den Transport deutlich teurer, und Pipelines können nicht verschoben werden, hin zu einem billigeren Anbieter. Der müsste seine eigene Pipeline quasi als Bestandteil des Angebotspakets „mitbringen“. Hinzu kommt, dass Börsen nicht nur einfach ein Marktplatz sind, sondern zugleich auch ein Wettplatz. Hebelgeschäfte, Insider-Geschäfte – ja, trotz des Transparenzversprechens soll es sie geben -, Manipulationsmöglichkeiten und, nicht zuletzt, Kapitalismus pur mit all der kriminellen Energie, die Karl Marx farbenfroh für unterschiedliche erzielbare Profitraten aufgezählt hatte (ich zitiere nur den Kulminationspunkt: „… 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens“).

Also, so ganz entschieden scheint mir die Sache noch nicht zu sein, wenn ich das den Marktapologeten mal entgegen halten darf, insbesondere unter dem Eindruck, was uns der Markt – der unter dem Eindruck der Sanktionen nun mit absoluter Sicherheit als manipuliert gelten darf – aktuell so für Zahlen präsentiert.

Aber das nur vorweg. Jetzt kommt das Entscheidende aus diesem Zitat, die nun über jeden Zweifel erhabene Ironie bei der Vergabe der Eins-Plus (sofern man das nicht durch die Brille des unübersetzten russischen Zensurensystems betrachtet, in dem die Eins wie in der Schweiz die schlechteste Note ist, aber dann wäre der Tiefpunkt eher eine Eins-Minus): Die Auffassung des lettischen Physikers, Gas sei zu wertvoll geworden, um einfach zur Stromerzeugung verbrannt zu werden. Die Alternative zum Gas ist der Strom selbst.

Man kann sicherlich trefflich darüber streiten, ob dies eine präzise und unmissverständliche Formulierung ist und ob sie aus Sicht eines kleinen Landes, das kaum eigene Energiequellen hat, einen praktischen Wert hat. Und dann ist da noch das Wörtchen wertvoll, bei dem ich denke: Hat er vielleicht teuer gemeint? Aber vielleicht war ihm auch einfach die vielfältige Verwendbarkeit (und Verwendung!) von Erdgas wesentlich bewusster als vielen deutschen Politikern, die der Auffassung sind, man benötige es nicht, oder wenn man es doch benötige, dann als einziger, sodass man es aus anderen als russischen Quellen problemlos beziehen könne.

Wie dem auch sei. Ich stimme dem Mann zu, jedenfalls in dem Sinne, wie ich seine Aussage verstehe: Fossile Energieträger verbrennen, um daraus mit geringem Wirkungsgrad Strom zu generieren ist dann entbehrlich, wenn man Elektrizität aus anderen Quellen weniger problematisch – und das heißt in meinen Augen: mit geringerem CO2-Fußabdruck und weniger CH4-Lecks – erzeugen kann. Aber gerade das dürfte für Lettland eben problematisch sein. Die lettischen Winter sind dunkel; da scheidet die Sonne als Quelle aus. Wie es dort um die Windhöffigkeit bestellt ist, kann ich nicht beurteilen. Man ist ja ein Küstenland, aber die Ostsee hat wohl nicht dieselben Windverhältnisse wie die Biskaya oder die Nordsee. Egal, das hat er vielleicht auch gar nicht im Hinterkopf gehabt.

Und dass sich die Attacke des russischen Journalisten auch gegen die Aussage „die Alternative zum Gas ist der Strom selbst“ richtet … – Strom, Elektrizität … – ist ihm die Parole des russischen Revolutionsführers Lenin „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ unbekannt, oder hält er sie für überholt? Es ist eine schwer zu leugnende physikalische Tatsache, dass Elektrizität die am einfachsten zu verteilende Energieform ist und zugleich diejenige, die am vielfältigsten und mit den höchsten Wirkungsgraden einsetzbar ist. Ihr einziger Nachteil ist die schlechte Speicherbarkeit. Überall dort, wo Gas entweder verheizt wird oder in Strom umgewandelt wird, verhält sich Russland als Exporteur wie ein afrikanisches Entwicklungsland, das Rohstoffe exportiert, anstatt daraus zumindest Halbzeuge oder sogar Produkte zu machen (woran die afrikanischen Länder freilich durch Zollschranken gehindert werden, die für Rohstoffe nicht in derselben Höhe existieren).

Na gut. Weiter im Text des Journalisten:

Die Grünen sind eigentlich für die Natur. Sie sind für die so genannte „grüne Wende“ aufgestanden. In der Praxis gibt es keine grüne Wende und keinen Naturschutz. Sie haben das Land mit Windrädern vollgemüllt. Energie gibt es allerdings zu wenig. Wie die Windräder entsorgt werden können, ist auch nicht ganz klar.

So so, es ist also nicht so, dass die Hälfte der deutschen Elektrizität inzwischen aus erneuerbaren Energiequellen stammt? Wir können ja gern über die einzelnen Energiequellen diskutieren, auch darüber, ob sie zweckmäßig, wirklich „grün“ sind. Ich habe da bei Biogas zum Beispiel durchaus so meine eigenen Fragen, denn der Prozess bis hin zum Gas oder gar – einschließlich der Betrachtung des Konvertierungswirkungsgrades – bis hin zur „auf dem Bauernhof“ gewonnen Elektrizität ist gespickt mit klimawirksamen Schritten: alle Fahrten mit dem Traktor erfolgen gewöhnlich mit (subventioniertem) Diesel, Düngung erfolgt gewöhnlich mineralisch, und Mineraldünger wird – wir lernen es gerade – auf Erdgasbasis energieintensiv hergestellt, und schließlich setzt Überdüngung im Boden über bakteriologische Prozesse das berüchtigte Lachgas frei, das seinerseits gegenüber CO2 eine mehrhundertfache Klimawirkung in der Atmosphäre entfaltet.

Vor mittlerweile vielen Jahren hat einmal eine Zeitschrift für Photovoltaik die verschiedenen Formen der Erzeugung chemischer Energieträger auf dem Acker mit dem Aufstellen von PV-Modulen auf derselben Fläche verglichen, und der elektrische Ertrag letzterer war glatt um eine Größenordnung höher als alle Ackerei. Insofern halte ich meine Kritik an dieser Form der Gewinnung erneuerbaren Energien für einigermaßen fundiert. Der Mann aus Russland attackiert demgegenüber besonders die Windkraftanlagen, weiß zu berichten, dass sie das Land vollmüllen und ihre Entsorgung ungeklärt sei.

Nun, dieses vollmüllen scheint mir eine subjektive Kategorie zu sein. Unbestreitbar ist, dass die Dinger landschaftsbildprägend sind. Überlandleitungen, Kühltürme und Industrieanlagen sind es aber auch. Und ein Dürresommer, wie er in diesem Jahrhundert ja nun wahrhaftig nicht zum ersten Mal aufgetreten ist und in dieser Häufung der Klimakatastrophe zugeschrieben wird… Fragen Sie mal einen Bauern, ob diese Trockenheit landschaftsbildprägend ist. Sogar auf Satellitenbildern ist sie schon zu erkennen. Und wir stehen – man kann es nicht oft genug betonen – angesichts der Trägheit vor allem der maritimen Systeme hinsichtlich ihrer Aufnahmefähigkeit für Wärme und CO2 noch ganz am Anfang einer verheerenden Entwicklung.

Ich würde durchaus konzessieren, dass der eine oder andere Windpark unschön ist, vor allem die älteren, in denen die Flügelbewegungen hektischer sind, weil die damaligen Modelle eine geringere Nabenhöhe und Leistung aufweisen. Die werden, wenn es gut geht, irgendwann durch leistungsstärkere, weniger und langsamer drehende Typen ersetzt. Was die berechtigte Frage aufwirft, was mit den alten passiert. Entsorgung, so will ich unterstellen, ist eine Kunst, die Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu prächtiger Blüte entwickelt hat. Da kann man dann schon mal kritisch auf Deutschland herabblicken. Ja, wir haben da noch ein paar Schlampereien im Zusammenhang mit der Zerlegung der meist GFK-basierten Flügel zu bereinigen. Das Verfahren ist indes geklärt; es wird nur eben nicht überall sauber angewendet, weil das eingehauste Zersägen aufwändiger ist, als das offene mit erheblicher und problematischer Glasstaubentwicklung.

Und insgesamt ist es mit der Verspargelung der Landschaft so wie mit jedem Gewerbegebiet: Die Natur, die es vorher dort gab, war irgendwie unberührter oder grüner oder intakter. Oder wirkte zumindest so. Aber wir wollen ja von irgendwas leben, Arbeitsplätze und so. Also gibt es das Gewerbegebiet dann eben doch. Und ähnlich ist es mit dem Strom: Er kommt eben nicht aus der Steckdose. Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang ist, ob die Errichtung und der Betrieb von Windkraftanlagen den örtlichen Anwohnern (die kilometerweit weg sind, sein müssen infolge der Abstandsgebote, was jedoch über hundert Meter hohe Türme deswegen noch nicht unsichtbar macht) in vergleichbarer Weise schmackhaft gemacht wird wie die Rodung eines Grünheider Kiefernwaldes für eine Fabrik zur Herstellung von E-Autos. Irgendwie war das ja auch möglich.

Kommen wir zum letzten Punkt, der mir auffiel:

…, Ursula von der Leyen, erklärt in einer bemerkenswerten Stellungnahme, dass Europa bereit sei, eine Preisgrenze für Pipeline-Gas aus Russland festzulegen. Die G7-Länder haben außerdem beschlossen, eine Preisobergrenze für russisches Öl einzuführen.

Ja, das wird lustig. Irgendwo auf anti-spiegel.ru oder auf de.rt.com habe ich mal eine Attacke auf die Preisexplosionen an den hiesigen (also den deutschen) Tankstellen gelesen, und zwar unter Verweis auf Spanien, wo die Preise… – ratet mal, was die Spanier gemacht haben? – genau, gedeckelt wurden. So habe ich es jedenfalls in Erinnerung. Eine Preisdeckelung ist also nicht per se eine schlechte Idee. Auf jeden Fall ist es umständlicher, sich hinterher eine Übergewinnsteuer auszudenken und dann zu versuchen, sich einen Teil des Profits wieder zurückzuholen. Die Frage ist in beiden Szenarien nur, wie groß die Macht des Anbieters ist und wie groß die des „Deckelers“ und wie hoch die Verluste des Anbieters, wenn er gar nichts verkauft. Ich denke schon, dass eine Benzinpreisdeckelung in Deutschland funktioniert hätte. Keinen Sprit mehr in einem so großen Land zu verkaufen wäre eine verdammt teure Party für die Konzerne geworden. Außerdem hätte die Regierung es nicht bei einem Deckel belassen müssen. Es gibt da bestimmt irgendwelche Gesetze zur Versorgungspflicht durch die Oligopole.

Damit behaupte ich nicht, dass dasselbe gegenüber Russland funktionieren würde. Auf Russland ist deutsche oder EU-Gesetzgebung nicht anwendbar, und außerdem hat man sich eh schon außerhalb aller Völkerrechtsnormen gestellt: Krieg auf der einen Seite, völkerrechtswidrige Sanktionen, Waffenlieferungen, Ausbildung einer Kriegspartei auf der anderen.

Es bleibt spannend. Ach so, das leuchtendste Beispiel für Dummheit wurde in den hier aufgeführten Zitaten übrigens nicht benannt. Darauf muss jeder selbst kommen. Ist aber nicht schwer.

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